Physikalische Therapie
Häufige Folge eines Verschleißprozesses an der Wirbelsäule bzw. eines akuten Bandscheibenvorfalls ist der so genannte vertebrogene Schmerz, d. h. Schmerz der primär von reflektorischer Muskelverspannung ausgeht und sekundär auch zu Fehl- bzw. Entlastungshaltung führt. Der Körper möchte die verletzte Region ruhig stellen, ähnlich einem verstauchten Gelenk, das bei jeder Bewegung Schmerzen macht. Diese "Ruhigstellung" geschieht durch eine Anspannung der Rückenmuskulatur, was zum bekannten Muskelhartspann führt. Dies kann zwar wirklich das Segment ruhig stellen, führt jedoch häufig zu einer Erhöhung des Bandscheibendrucks und damit des Drucks auf den Nerven (der Teufel wird mit dem Beelzebub ausgetrieben). Ein chronisch erhöhter Musketonus "fesselt" die Wirbelsäule jedoch in Fehlstellung, d. h. Streckhaltung oder Skoliose (seitliche Verkrümmung). Krankengymnastische und physikalische Maßnahmen in der Akutbehandlung des Bandscheibenvorfalls zielen deshalb darauf, die Muskeln zu entspannen (beruhigen) und díe Bandscheiben zu entlasten, damit der Nerv entlastet wird. Sie sind als Ergänzung zur medikamentösen Therapie und eventuellen lokalen Injektionen zu sehen.
Streckbehandlung
Das Ziel dieser Therapie ist es, den Zwischenwirbelraum zu erweitern und somit Vorwölbungen (Protrusionen) aus dem Wirbelkanal zurück in das Bandscheibenfach zu führen. Dadurch soll der Druck - welcher den Schmerz verursacht - von der Nervenwurzel genommen und diese entlastet werden. Die Therapie eignet sich jedoch nur für Bandscheibenvorwölbungen (Protrusionen), bereits vorgefallenes (sequestriertes) Bandscheibengewebe kann dadurch nicht zurück in das Bandscheibenfach gebracht werden. Trotzdem kann auch bei sequestrierten Bandscheibenvorfällen eine Schmerzlinderung durch die Dehnung erreicht werden.
Wärmeanwendung
Eine Entlastung der Wirbelsäule wird auch im warmen Wasser erreicht; ein warmes Bad bietet dazu den Vorteil einer verspannungslösenden Wirkung auf die Rückenmuskulatur, welche auch durch andere Wärmeanwendungen wie Fangopackungen oder Kurzwellenbestrahlungen erreicht werden kann. Die Heilerde (Fango) ist so zusammengesetzt, dass sie ein ausgeprägtes Wärmehaltungs- und Wärmeleitvermögen besitzt, d.h. einerseits die Wärme ideal speichern und andererseits die heilende Wärme bei der Behandlung langsam, gleichmäßig und lang andauernd, damit tiefenwirksam, an die Haut und die darunter liegenden Gewebe bzw. Nerven abgeben kann. Dabei kommt es zu einer Durchblutungssteigerung und Lockerung des Muskelgewebes. Der Stoffwechsel in den Muskeln wird angeregt, dadurch kann eine Übersäuerung abgebaut und das Energieangebot verbessert werden. Eine Wärmebehandlung ist auch vor einer klassischen Massage sinnvoll.
Elektrotherapie mit TENS
Bei der Transkutanen Elektrischen Nervenstimulation (TENS) erzeugt ein Stimulationsgerät Stromimpulse, die über Klebe-Elektroden auf der Haut ins Gewebe geleitet werden. Es gibt zwei Verfahren: Meist werden Impulse mit hoher Frequenz (80 bis 100 Hertz, Hz), aber geringer Intensität verwendet. Sie sollen wie ein Gegenreiz zum Rückenschmerz wirken und die schmerzleitenden Nerven daran hindern, die Schmerzimpulse weiter zum Gehirn zu leiten. Der Effekt ist meist sofort spürbar, verschwindet aber nach Ende der Stimulation rasch wieder. Impulse niedriger Frequenz (5 bis 10 Hz) und hoher Intensität lösen Muskelkontraktionen aus. Sie sollen die Ausschüttung körpereigener Schmerzsubstanzen (Endorphine) anregen. Der schmerzlindernde Effekt setzt nicht sofort ein, hält dafür aber oft länger an.
Es ist eine maßgeschneiderte Behandlung: Stärke, Dauer und Frequenz der Impulse lassen sich bei der Transkutanen Elektrischen Nervenstimulation individuell an die Beschwerden und den unter Rückenschmerzen leidenden Patienten anpassen. Die Reizstrombehandlung soll nur ein Prickeln oder Kribbeln verursachen. Dabei spielt auch die Größe der Elektroden eine Rolle.
Variabel ist auch die Platzierung der Elektroden, die unter anderem vom Schmerzort, dem Verlauf betroffener Nerven und der Art der Rückenschmerzen abhängt.
Eine TENS-Sitzung dauert normalerweise etwa 20 bis 50 Minuten. Da die schmerzlindernde Wirkung meist nur wenige Stunden anhält, wird die Behandlung oft mehrmals täglich wiederholt (zwei- bis viermal). Akute Beschwerden verschwinden oft schon nach wenigen Behandlungen. Bei chronischen Schmerzen dagegen wird TENS oft jahrelang eingesetzt (in Heimbehandlungen).
Krankengymnastik
Die Krankengymnastik arbeitet mit einer Auswahl von Übungen, die die jeweilige Erkrankung berücksichtigen. Gezielte Übungen, immer auf den Patienten abgestimmt, verbessern die Durchblutung, beseitigen Verspannungen und führen zu einer Muskelkräftigung. Die Notwendigkeit der Muskelkräftigung ist unbestritten. Krafttraining zur Stabilisation der vorderen und hinteren Muskelgruppen ist bei »Rückengeschädigten«, aber auch zur Prävention, unbedingt notwendig. Eine Trainierbarkeit der Kraft ist in jedem Alter gegeben. Mit zunehmendem Alter ist der Zuwachs zwar verlangsamt, aber trotzdem möglich. Es ist wissenschaftlich nachgewiesen, dass neben der Steigerung der reinen Kraftleistung eine deutliche Verbesserung der intermuskulären Koordination sowie ihres harmonischen Zusammenspiels eintritt. Das Ziel des Muskeltrainings ist es, die Muskulatur für die Anforderungen des täglichen Lebens leistungsfähig zu machen.
Dabei ist jedoch wichtig, dass im Akutstadium eines Bandscheibenvorfalls keine zu starke Aktivierung erfolgt, da dadurch Beschwerden verstärkt werden können. Im Akutstadium ist die Muskulatur reflektorisch verspannt und der Bandscheibeninnendruck erhöht. Eine Anstrengung in dieser Phase kann die Verspannung verstärken und im ungünstigsten Fall weiteres Bandscheibengewebe herausdrücken und somit einen Vorfall vergrößern. Deshalb sollten im Akutstadium eines Bandscheibenvorfalls nur entspannende Übungen zur Anwendung kommen. Erst nach Abheilung des Vorfalls beginnt die Phase der Aktivierung.
Führt eine konservative Behandlung, die sinnvollerweise stationär oder im Rahmen einer erweiterten ambulanten Physiotherapie (EAP) durchgeführt werden sollte, nicht zu einer Besserung, dann sollte die Vorstellung in einer Neurochirurgischen Sprechstunde mit einer entsprechenden aktuellen Bildgebung (Computer-Tomographie oder Kernspintomographie) erfolgen.